Chat bei poppen.de: Anfangsverdacht für Besitz kinderpornografischer Schriften

Chat bei poppen.de: Anfangsverdacht für Besitz kinderpornografischer Schriften

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob die Durchsuchung sichergestellter Datenträger rechtmäßig war. Der entsprechende Durchsuchungsbeschluss war auf den Anfangsverdacht für den Besitz kinderpornografischer Schriften gestützt.

BVerfG, Beschl. v. 20.09.2018 – 2 BvR 708/18

Sachverhalt

Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde

1. Im November 2017 erhielt die Polizei von einem Mitarbeiter der Betreibergesellschaft des Internetportals „www.poppen.de“ den Hinweis, dass ein Mitglied des Portals sich unter dem Pseudonym „O.“ mit anderen Mitgliedern in Chats über Sex vor und mit den eigenen minderjährigen Kindern unterhalte. Die entsprechenden Chat-Verläufe stellte der Hinweisgeber der Polizei zur Verfügung.

Danach kommunizierte unter dem genannten Pseudonym eine sich als „Paula“ vorstellende Person im November 2017 mit drei weiteren Mitgliedern des Internetportals „www.poppen.de“ und behauptete in drastischer Sprache zahlreiche sexuelle Handlungen vor und mit ihren minderjährigen Kindern und ein damit verbundenes besonderes Maß an sexueller Erregung. Bereits das Anschauen ihrer Kinder auf dem Wickeltisch habe sie als sexuell erregend empfunden. Gleiches gelte für Ihren Mann, wenn sie ihrer Tochter als kleines Mädchen Röckchen und weiße Kniestrümpfe angezogen

Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht vertrat folgende Auffassung:

“3. Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. (…)

Die Anwendung des § 110 StPO durch das Landgericht verstößt im vorliegenden Fall nicht gegen Verfassungsrecht. Im Ergebnis begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Landgericht einen Anfangsverdacht des Besitzes kinderpornographischer Schriften gegen den Beschwerdeführer bejaht (a), ein Beweisverwertungsverbot trotz der rechtswidrigen Durchsuchungsanordnung verneint (b) und die Durchsicht nicht aufgrund von Beschlagnahmeverboten aus § 97 StPO für unzulässig gehalten hat (c). Substantielle Einwände gegen die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bringt der Beschwerdeführer nicht vor (d).

a) aa) Voraussetzung einer jeden Durchsuchung und damit auch der Durchsicht nach § 110 StPO ist der Verdacht, dass eine bestimmte Straftat begangen wurde. Dieser Anfangsverdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BVerfGE 44, 353 <371 f.>; 115, 166 <197 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. August 2014 – 2 BvR 969/14 -, juris, Rn. 38). Durchsuchung und Durchsicht dürfen nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind, denn sie setzen einen Verdacht bereits voraus (vgl. BVerfGK 8, 332 <336>; 11, 88 <92>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 -, juris, Rn. 15). Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung beziehungsweise Durchsicht nicht finden lassen (vgl. BVerfGE 59, 95 <97>).

Eine ins Einzelne gehende Nachprüfung des von den Fachgerichten angenommenen Verdachts ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Sein Eingreifen ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfach-rechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§ 152 Abs. 2§ 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 ff.>; 115, 166 <199>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 -, juris, Rn. 15).

bb) Die Annahme eines Anfangsverdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften ist jedenfalls nicht willkürlich und beruht nicht auf einer Verkennung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

(1) Als Erkenntnisquellen standen dem Landgericht drei Chat-Verläufe vom 2., 8. und 12. November 2017 sowie die Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen zu der sich hinter dem Pseudonym „O.“ verbergenden Person zur Verfügung. Mit den Inhalten der Chats hat sich das Landgericht in seiner Entscheidung eingehend auseinandergesetzt und sie zum Teil wörtlich wiedergegeben. Erkennbar beruht seine Bewertung auf den Chat-Inhalten.

Zwar schildert „O.“ möglicherweise keine tatsächlichen Geschehnisse, sondern sexuelle Phantasien, diese aber in sehr bildhafter und auch drastischer Sprache. Es erregt den Verfasser offenkundig, sich Kinder und Jugendliche in den beschriebenen Posen und bei den beschriebenen sexuellen Handlungen vorzustellen oder sie in solchen Posen und bei solchen Handlungen zu betrachten. Kinder- und jugendpornographisches Material zur Befriedigung dieser Neigung ist im Internet auch leicht und anonym zu beschaffen. Vor diesem Hintergrund durfte es das Landgericht unter Heranziehung von kriminalistischer Erfahrung für möglich halten, dass der Verfasser der Chats strafbares kinderpornographisches Material zur Befriedigung seiner sexuellen Neigung besitzt, auch wenn in den Chats nicht über die Anfertigung, den Austausch oder den Besitz von kinderpornographischem Material gesprochen wird. Der angenommene Verdacht beruht auf einer ausreichenden tatsächlichen Grundlage und stellt sich daher nicht als bloße Vermutung dar.

(4) Das Landgericht leitet den Anfangsverdacht dabei auch nicht in unzulässiger Weise allein aus legalem Verhalten her.

Steht fest, dass eine Straftat begangen wurde, kann aus einem legalen Verhalten einer Person wie beispielsweise dem Erwerb eines Messers ohne Weiteres auf einen Anfangsverdacht geschlossen werden (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 152 Rn. 4a; Hoven, in: Fischer/Hoven, Verdacht, 1. Aufl. 2016, S. 117 <121 und 132>). Anders zu beurteilen sind Fälle wie der vorliegende, in denen eine konkrete Straftat noch nicht bekannt ist, bestimmte legale Handlungen einer Person es jedoch nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheinen lassen, dass sich die Person strafbar gemacht hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann in solchen Fällen ein Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat durch ein an sich legales Verhalten begründet werden, wenn weitere Anhaltspunkte hinzutreten (vgl. BVerfGK 5, 84 <90>; 8, 332 <336>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. März 1994 – 2 BvR 396/94 -, juris, Rn. 16-19; BVerfG, Beschluss der 3.  Kammer des Zweiten Senats vom 15. August 2014 – 2 BvR 969/14 -, juris, Rn. 38; siehe dazu auch LG Regensburg, Beschluss vom 10. Oktober 2014 – 2 Qs 41/14 -, BeckRS 2014, 100231, Rn. 17; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 152 Rn. 4a; Jahn, in: Fischer/Hoven, Verdacht, 1. Aufl. 2016, S. 147 <157>; Hoven, NStZ 2014, S. 361 <365 ff.>).

Zwar erfüllen die vorliegenden Chats keinen Straftatbestand. Es ist nicht strafbar, in Internet-Foren Texte wie die hier in Rede stehenden zu verbreiten. Allerdings kommt hinzu, dass „O.“ seinen Chatpartnern ganz offen von schweren Straftaten wie dem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB und dem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 StGB berichtet. Auch wenn es sich möglicherweise um bloße Phantasien handelt, macht der Verfasser deutlich, dass ihn insbesondere auch strafbares Verhalten an und mit Kindern wie der Geschlechtsverkehr eines erwachsenen Mannes mit seiner 11-jährigen Tochter sexuell erregt. Angesichts dieses zusätzlichen Umstands begegnet die Annahme eines Anfangsverdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften keinen verfassungsrechtlichen Bedenken

b) Das Landgericht hat das Bestehen eines der Durchsicht entgegenstehenden Beweisverwertungsverbots nicht unter Verletzung von Verfassungsrecht verneint.

aa) Zu Recht hat das Landgericht die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung vom 18. Januar 2018 festgestellt. Zudem genügte die Durchsuchungsanordnung entgegen seiner Ansicht auch im Hinblick auf den Vorwurf des (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern nicht ihrer verfassungsrechtlich gebotenen Begrenzungsfunktion, da der Tatvorwurf weder zeitlich noch in Bezug auf das Opfer eingeschränkt wurde.

Einschätzung

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts begegnet doch einigen Bedenken.

Für die Begründung und Durchsetzung einer Durchsuchung stützt sich das Gericht auf ein legales Verhalten des Beschuldigten. Das bloße Chatten über sexuelle Fantasien ist nicht strafbar. Gleichwohl geht das Gericht davon aus, dass eine sich legal verhaltende Person auch Straftaten begeht.

Mit dieser Begründung wäre nahezu jede Durchsuchung zu begründen.

Die Voraussetzung des Vorliegen eines Anfangsverdachts wird damit weiter ausgehöhlt.