Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen

Was ist „sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen“?

Eine solcher Missbrauch liegt vor, wenn der Täter vorsätzlich sexuelle Handlungen vor oder an dem Schutzbefohlenen, oder die schutzbedürftige Person sexuelle Handlungen vor oder an dem Täter vornimmt.

Wann ist „sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen“ strafbar?

Der Straftatbestand schützt die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers.

Um sich nach § 174 StGB strafbar zu machen, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein.

Tatobjekt: Schutzbefohlener

Die Taten können nur an Schutzbefohlenen verübt werden. Eine Person gilt als Schutzbefohlener, soweit ein Obhuts- bzw. ein Abhängigkeitsverhältnis vorliegt.

Obhutsverhältnis

Ein Obhultsverhältnis ist gegeben, soweit eine Person einer anderen Person zur Erziehung anvertraut wurde. Ferner zählen auch die Betreuung in der Lebensführung und Ausbildungsverhältnisse zu den Obhutsverhältnissen. Das Obhutsverhältnis kann sich aus dem Gesetz (z.B. Eltern), aus der tatsächlichen Stellung (z.B. Lehrer) oder einer eigenverantwortlich selbst gewählten Verantwortungsübernahme (z.B. Trainer) ergeben.

Abhängigkeitsverhältnis

Ein Abhängigkeitsverhältnis liegt z.B. vor, soweit ein Schutzbefohlener dem Täter im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist. Täter kann ein unmittelbarer oder mittelbare Vorgesetzter sein. Voraussetzung ist das Bestehen einer rechtlichen Bindung – bloße Hilfstätigkeiten oder Gefälligkeitsarbeiten genügen nicht.

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen

Einzelfälle

Die Grenze zwischen einem Obhutsverhältnis und einem Abhängigkeitsverhältnis verläuft fließend. Bei folgenden Konstellationen kann von einem gesetzlich geforderten Näheverhältnis ausgegangen werden.

  • Eltern
  • Großeltern
  • Adoptiveltern und Stiefeltern
  • Pflegeeltern
  • Leiter von Sportmannschaften
  • Bewährungshelfer
  • Lehrer
  • Fahrlehrer
  • Ausbilder in einem Betrieb
  • Vorgesetzter (Chef)

In der Regel aber nicht bei

  • Reitlehrer
  • Nachhilfelehrer
  • Praktikum
  • Babysitter
  • Animateuren
  • Mitarbeiter von Jugendherbergen

Die Grenzen sind auch hier fließend, sodass es immer auf die konkreten Umstände im Einzelfall ankommt. Hier hat sich eine diffuse Einzelfallrechtsprechung entwickelt, deren Darstellung hier nicht erfolgen kann und deren Komplexität auch nicht hier im Rahmen eines Beitrages gerecht werden kann.

Die Strafbarkeit nach anderen Vorschriften bleibt unberührt.

Häufig keimt der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in der Schule, im Internat, im Sportverein oder in der Fahrschule auf.

Welche Rolle spielt das Alter?

Das Alter des Opfers ist von besonderer Bedeutung. Es muss unterschieden werden, ob der Betroffene (zur Tatzeit) unter 14 Jahren oder zwischen 14 und 16 Jahren oder zwischen 16 und 18 Jahren alt ist.

Unter 14 Jahren

Handelt es sich bei dem Schutzbefohlenen um ein Kind unter 14 Jahren, ist zugleich ein sexueller Missbrauch von Kinder gemäß § 176 StGB gegeben. Dieser Tatbestand wird weitaus härter bestraft, sodass der mitverwirklichte sexuelle Missbrauch von Kindern nicht ins Gewicht fällt.

Zwischen 14 und 16 Jahren

Bei Schutzbefohlenen zwischen 14 und 16 Jahren ist die Strafbarkeit bereits gegeben, soweit der sexuelle Missbrauch gegenüber einer Person begangen worden ist, „die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut“ wurde.

Zwischen 16 und 18 Jahren

Bei Personen zwischen 16 und 18 Jahren bedarf es zusätzlich eines Missbrauchs, der mit dem Obhutserhältnis verbundenen Abhängigkeit. Demnach bedarf es einer Machtstellung des Täters in Bezug auf das Opfer. Dies ist etwa gegeben, wenn das Opfer in sexuelle Handlungen einwilligt, um Vergünstigungen – also etwa Geld, bessere Noten, eine bessere Stellung etc. – zu erhalten.

Unerheblich ist, von wem die Initiative ausgegangen ist. Die Kenntnis um die besondere Machtstellung muss aber einen handlungsleitenden Faktor für den Täter gehabt haben. Dagegen tritt keine Strafbarkeit ein, sofern für beide Personen überhaupt kein Zusammenhang zwischen dem besonderen Abhängigkeitsverhältnis und den sexuellen Handlungen vorliegt.

Tathandlung: Sexuelle Handlungen

Ausgangspunkt ist die Frage, ob eine sexuelle Handlung vorliegt. Hierbei muss von den Gerichten geprüft werden, ob eine Sexualbezogenheit vorliegt, die Handlung eine gewisse Erheblichkeit erreicht und sexuell motiviert ist.

Eine genaue Definition, wann eine strafrechtlich relevante sexuelle Handlung vorliegt, gibt es nicht. Maßgeblich ist in erster Linie, ob die Handlung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild, also nach der Ansicht eines unbeteiligten Dritten, als sexuell einzustufen ist. Eine sexuelle Handlung liegt daher in jedem Fall vor, soweit sie einen eindeutigen Bezug zum Geschlechtlichen aufweist. Auf die innere Motivation des Täters kommt es dann nicht an. In diesen Fällen wäre es egal, ob der Täter die Handlung aus sexualbezogenen Gründen, aus Neugier, aus Spaß oder sonstigen Zwecken vorgenommen hat.

Umgekehrt bedeutet das, dass Handlungen, die auf einem sexuellen Motiv des Handelnden beruhen, aber nach dem äußeren Erscheinungsbild keinen Bezug zum Geschlechtlichen aufweisen, auch nicht strafbar sind. Dies kommt häufig bei sadomasochistischen Praktiken zum Tragen – die Sexualbezogenheit von Schlägen und Schmerzen tritt hier erst durch die innere Motivation des Handelnden ein.

Ist die Handlung nach dem äußeren Erscheinungsbild ambivalent und weist keinen eindeutigen Bezug zur Sexualität auf, soll es wiederum auf die Deutung eines unbeteiligten Dritten ankommen, der aber alle Einzelheiten der Tatsituation kennt. Dadurch unterfallen auch Handlungen, die an sich nicht als „sexuelle Handlungen“ einzustufen sind, einer Strafbarkeit, wenn aus dem Gesamtkontext eine Sexualbezogenheit hergeleitet werden kann.

Eine sexuelle Handlung muss auch von einiger Erheblichkeit in Bezug auf das geschützte Rechtsgut sein. Geschütztes Rechtsgut des § 174 StGB ist die sexuelle Selbstbestimmung und die ungestörte sexuelle Entwicklung von Schutzbefohlenen. Nach der Rechtsprechung ist eine sexuelle Handlung erheblich, wenn sie „nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung bedeutet“.

Gefährden Handlungen die sexuelle Selbstbestimmung und Entwicklung nicht, sind diese mangels Erheblichkeit nicht strafbar. Freilich kommt es zur Beurteilung, ob eine Gefahr gegeben ist, darauf an, wer die Handlung vornimmt. Den Eltern eines Kindes wird dabei regelmäßig ein weiterer Spielraum zugestanden.

Beispiele für sexuelle Handlungen

Demnach sind beispielsweise folgende Handlungen als sexuell einzuordnen:

  • Berühren des Geschlechtsteils über oder unter der Kleidung
  • Berührung der Brüste oder des Pos bei Mädchen (z.B. unter der Kleidung oder nackt)
  • Zungenkuss
  • Spreizen der Beine bei unbekleidetem Unterleib
  • Masturbieren
  • Entblößen des Oberkörpers bei gleichzeitigem Reden über sexuelle Themen
  • Sitzen auf dem Opfer unter der gleichzeitigen Ankündigung, ejakulieren zu wollen

Eine vollends einheitliche und vorhersehbare Rechtsprechung ist nicht auszumachen, sodass es stets auf die Auslegung und Interpretation der Einzelfallumstände ankommt.

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen

Vorsatz

Der Täter muss den Missbrauch vorsätzlich begangen haben. Er muss diesen also mit Wissen und Wollen verwirklicht haben. Hierbei ist ausreichend, dass der Täter den Straftatbestand billigend in Kauf genommen und zumindest für möglich gehalten hat (sog. Eventualvorsatz).

Bei einer Tat nach § 174 Abs. 3 Nr. 1 StGB ist zusätzlich erforderlich, dass der Täter in der Absicht handelt, sich sexuell zu erregen, wobei die Steigerung einer Erregung genügt.

Versuch

Der Versuch des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen ist nach § 174 Abs. 4 StGB strafbar. Ein Versuch liegt bereits dann vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt hat (§ 22 StGB). Hierfür muss der Täter die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschritten haben und es muss unmittelbar eine Rechtsgutsgefährdung bevorstehen. Zudem muss der Täter mit dem Entschluss zur Tat, also vorsätzlich gehandelt haben.

Das liegt insbesondere schon dann vor, wenn der Täter beginnt, das Opfer zur Duldung der sexuellen Handlungen zu überreden.

Strafantrag

Bei dem Missbrauch handelt es sich um ein sogenanntes Offizialdelikt. Das bedeutet, dass eine solche Straftat durch die Strafverfolgungsbehörde (Staatsanwaltschaft) bei Kenntniserlangung von Amts wegen verfolgt wird. Ein Antrag durch den Geschädigten oder dessen gesetzlichen Vertreter ist daher nicht erforderlich.

Strafe

Der Missbrauch von Schutzbefohlenen nach § 174 Abs. 1 und Abs. 2 StGB wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren geahndet. Eine Geldstrafe ist nicht vorgesehen.

Taten nach § 174 Abs. 3 StGB werden mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet.

Die konkrete Strafe ist von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängig. So ist die Art des Abhänigkeitsverhältnisses zwischen Opfer und Täter ebenso entscheidend wie die Dauer und Intensität der sexuellen Handlung. Nicht zuletzt sind auch die Persönlichkeit des Täters und die Anzahl der vorgeworfenen Tathandlungen maßgeblich.

Zu beachten ist, dass in der Urteilspraxis ein deutliches Nord-Süd-Gefälle auszumachen ist.

Im Falle einer Verurteilung droht ein Eintrag im Führungszeugnis.

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